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“Psychotherapie” in der Reha

Mein Name ist Janina, ich bin knappe 32 Jahre alt und lebe seit 6 Jahren mit einer sehr ausgeprägten Lichturtikaria. (Ich sage absichtlich: „Ich lebe mit“ und nicht: „Ich leide an“).

Die ersten Anzeichen der Urtikaria sind bei mir im August 2015 während eines Festivals aufgetreten. An diesem Tag war es im Gegensatz zu den vorherigen extrem sonnig und heiß und ich zog zum ersten Mal in dem Sommer, eine kurze Hose an. Nach relativ kurzer Zeit fingen meine Beine an zu jucken. Erst nur leicht, dann immer schlimmer. Es sah anfangs so aus, als hätte ich einen Sonnenbrand. Dann folgten die Quaddeln. 

Natürlich konnte ich mir nicht erklären, was es damit auf sich hat und es auch nicht für so schlimm befunden. Es ging ja auch wieder von alleine weg. 

In den nächsten Wochen und Monaten traten die Quaddeln und der extreme Juckreiz immer wieder sporadisch auf. Mal mehr, mal weniger schlimm. Mit der Zeit konnte ich den Auslöser, das Licht, ausmachen. Nach einigen Recherchen im World-Wide-Web war ich genau so schlau, wie vorher. Man findet einfach viel zu viele Infos und je nach dem auf welcher Seite man ist, bekommt man auch immer unterschiedliche Ergebnisse geliefert. Eins stand aber auf jeden Fall fest: Ich sollte wohl mal bei einem Dermatologen vorstellig werden. Nun wohne ich recht ländlich, da gibt es nicht viele Fachärzte.  

Einen Termin hatte ich dann endlich im März 2017. Der Hautarzt war ein alter Hase und hat schnell den Verdacht der Lichturtikaria geäußert. Die Testung mit gesicherter Diagnose erfolgte wieder einige Monate später in einer nahegelegenen Hautklinik. 

Behandelt wurde ich zunächst mit einer ganzen Reihe verschiedenster Antihistaminika, die aber alle nicht so richtig gut geholfen haben. Außerdem legte man mir Nahe, mich begleitend in eine Psychotherapie zu begeben, damit ich lerne, wie ich mit meiner Erkrankung leben kann. 

Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon 2 Jahre mit der Lichturtikaria gelebt und mich ehrlich gesagt arrangiert. 

Natürlich möchte ich sie nicht haben, suche immer wieder nach neuen Therapieansätzen und lasse nichts unversucht. Aber ich lebe halt damit und das auch ganz gut. 

In den letzten Jahren bin ich also von Dermatologie zu Dermatologie, von Uniklinik zu Uniklinik gezogen, um nach neuen Therapieansätzen zu suchen. Egal wo ich gewesen bin, jeder Arzt hat mir empfohlen, ich solle doch begleitend eine Psychotherapie machen. Klar, mein Leben hat sich durch die Lichturtikaria verändert und meine weiteren chronischen Erkrankungen sind ebenfalls mit Einschränkungen im Alltag verbunden. Nun bin ich aber von Haus aus eine Frohnatur, ich liebe das Leben und schätze Kleinigkeiten. Daher kam für mich eine Therapie nicht wirklich in Frage. 

Bis ich Anfang 2020 zu einer dermatologischen Reha gefahren bin. Naiv wie ich war, hatte ich die Illusion, dass da ja so viele Fachärzte an einem Ort sind und gewiss einer dabei sei, der mir irgendwie weiterhelfen könne. Dieses Hochgefühl hielt sich genau bis zu meinem Aufnahmegespräch. Man hatte mir gleich gesagt, dass für mich eigentlich wenig von den dort angebotenen Therapien infrage käme. Mein Tagesprogramm bestand hauptsächlich aus Vorträgen, Sport, ein bisschen Wellness und Gesprächstherapien! Diese wollte ich zwar nicht machen, doch man sagte mir, man müsse meinen Tagesplan irgendwie vollkriegen. Bestrahlungen und Kortison wolle ich nicht haben. Ich war alles andere als begeistert… 

An meinem zweiten Tag in der Reha startete dann auch schon eine Gruppentherapie. Mir war sofort klar, dass das absolut nichts für mich ist. In der Gruppe war ich die einzige mit einer Urtikaria. Alle anderen hatten Schuppenflechte oder Neurodermitis. Da alle anderen Teilnehmer mit diesen beiden Erkrankungen bestens vertraut waren, hatten sie viel Interesse an der Urtikaria. Also habe ich ein bisschen erzählt. Ausnahmslos alle Reaktion waren gleich. Wie furchtbar, es doch sein müsse und dass ich ja überaus eingeschränkt sei und wie ich nur damit leben könne. Auch ein in den vergangenen Jahren gern gezogener Vergleich mit Hannelore Kohl wurde natürlich immer wieder gezogen, mit dem sehr motivierendem Nachsatz: „Die hat sich doch umgebracht, oder?“ Na, das hört man doch immer wieder gerne. 

Dafür hatte ich dann Einzelgespräche. Jede Woche drei Stück, mit jeweils anderen Schwerpunkten. Ich will gar nicht sagen, dass die Therapeuten schlecht waren. Wahrscheinlich machen sie ihren Job gut. In jeder Stunde bohrten sie nach und versuchten mehr aus mir herauszukitzeln. Zudem wiederholten sie, was für ein großes Laster ich doch zu tragen hätte und dass mein Leben sehr anstrengend sein müsse. 

Die Gruppentherapie habe ich nur dieses eine Mal besucht und sie gleich im Anschluss aus meiner Liste streichen lassen.  

Mit jedem Tag, den ich in der Rehaklinik verbrachte, ging es mir zunehmend schlechter. Als ob es nicht gereicht hätte, dass man mir medizinisch nicht helfen konnte. Durch die Gesprächstherapien wurde mein positives Wesen immer mehr auf Negatives gezogen.

Ich muss wohl nicht erklären, dass ich den Aufenthalt nicht verlängert habe. Entlassen wurde ich ohne Abschlussgespräch und ohne weitere Anweisungen, zudem völlig auf links gedreht. 

Die folgenden Wochen waren sehr emotional für mich. Ich begann an meiner Lebensqualität zu zweifeln, war ständig wütend oder traurig. Immer mehr habe ich nur noch Dinge gesehen, die ich aufgrund meiner Erkrankung nicht machen kann. Nein, ich komme nicht mit zum Strand. Die Fahrradtour kann ich auch nicht machen. Einfach nur im Garten sitzen und die Sonne genießen? Geht leider nicht. Nicht einmal kurze Hosen oder offene Schuhe kann ich tragen. Fast jeder Tag wurde zur Qual und ich zog mich immer mehr zurück. Und ich war wütend: Auf meine Haut, auf jede Quaddel, auf meine Mitmenschen, die einen „normalen“ Alltag haben konnten und wegen der verschwendeten 3 Wochen, die ich in der Reha verbracht hatte. 

Stück für Stück verfiel ich immer weiter in eine Depression und verlor die Freude am Leben. Mein Mann und meine Familie erkannten mich nicht wieder und machten sich große Sorgen. Nach einigen Monaten willigte ich ein, mich noch einmal in eine Therapie zu begeben. Dieses Mal allerdings viel intensiver und mit der Absicht meine Freude am Leben wieder zu finden. 

Ich will nichts beschönigen, anfangs war es sehr hart und es ging mir noch wesentlich schlechter. Doch ich hatte einen, aus meiner Sicht, sehr guten Therapeuten gefunden. Durch ihn begann ich die Dinge wieder anders zu sehen. Ich fing an mich wieder über all die Kleinigkeiten zu freuen, die ich besitze und trotz der Urtikaria machen kann.

Es war ein langer und beschwerlicher Weg, aber jetzt, nach monatelanger harter Arbeit, bin ich wieder an dem Punkt, an dem ich vor den Therapien in der Reha schon war. Ich bin endlich wieder glücklich. 

Ich möchte die Psychotherapie nicht verteufeln oder jemandem davon abraten. Das kann mit Sicherheit für ganz viele Menschen der richtige Weg und eine große Hilfe sein. 

Das ist es aber in der Tat nicht für jeden von uns!

Hier geht´s weiter zum Beitrag: Verpflichtende Psychotherapie in der Reha?

Fotocredit: alswart/Adobe Stock