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Arzte Nocebo

Ärzte als Nocebo?

Als ich am Montag, 21. März 2022 vor Halsschmerzen kaum sprechen geschweige denn schlucken konnte und dieser ganze Bereich meines Körper nur „brannte“, ging ich daher am Dienstag zu unserem diensthabenden Arzt in meinem Wohnort – und hatte eine selbstgestrickte Wollhaube auf um wenigstens meine Ohren warm zu halten. Als der Arzt mich damals noch 77jährige sah, bekam der ca. 45jährige Mediziner einen Lachanfall und nannte mich Rotkäppchen.

Das hat mich sehr beleidigt. Nicht nur, weil ich ohnedies keine Clown-Doktors mag. 

Scherze, die nicht auf gewollter Gegenseitigkeit beruhen, sind Gewalt. Bewertungen auch.

Zwei Tage später, am Mittwochabend rief mich übrigens mein letzter Klient der Vorwoche an um mir mitzuteilen, dass er am Montag Covid-positiv getestet wurde – und ich wurde das dann Donnerstag früh auch, als ich sicherheitshalber zur Teststraße nach Gänserndorf gefahren war – aber da hatten die Medikamente des Arztes gegen Mittelohrentzündung schon gut gewirkt. Fieber hatte ich die ganze Zeit keines. Der Arzt hatte vor lauter Lustigkeit vergessen, mich auf Covid zu befragen.

Ich könnte noch ärgere Beispiele aus meiner Biographie erzählen – und viele von meinen Klient:innen: Alle wurzeln darin, dass sie von Ärzt:innen weder ernst genommen noch respektvoll behandelt wurden.

In fast allen Psychotherapie-Schulen gibt es den Hinweis auf die sogenannten drei (es gibt aber mehr) Rogers-Kriterien, die nachweislich Vorbedingungen darstellen, dass sich die Klient:innen positiv weiter entwickeln können, sich selbst ermutigen, ihre Immunkräfte aufbauen, und dazu zählt auch, auf eigene wie auch fremde Negativsuggestionen zu achten und verwerfen. 

Das gilt aber ebenso für Personen in Helferberufen, denn wir alle haben aus Familie wie Medien Verhaltensvorbilder (Sprache mitgemeint), die eher schädigen als fördern. Heilsames Sprechen muss daher erst erarbeitet werden – in der Schule lernt man es nicht – außer eine fortschrittliche Lehrkraft bietet „Schulspiel“ an und bespricht dort die Inszenierungen der Macht und Ohnmacht aus der darstellenden Weltliteratur. 

Die zitierten drei von Carl R. Rogers (1902 – 1987) beschriebenen Kriterien für hilfreiche – „personzentrierte“ – Gespräche sind Bedingungslose Akzeptanz, d. h. Verzicht auf Bewertungen, Empathie: gespürte Einfühlung – nicht aber bloß erdachtes und bekundetes Mitgefühl – ins Erleben des Gegenübers, und zwar von Auge zu Auge (nicht Auge zu Computer!) im Gespräch; die spürt dann nämlich der oder die andere dann auch (und Worte werden unnötig – Sachinformationen genügen).

Authentizität (oder Echtheit bzw. „Kongruenz“, d. h. die innere und die äußere Wahrheit müssen übereinstimmen!): keine Lügen, keine Verharmlosungen oder Dramatisierungen, wie hilfreich sie auch gemeint sein sollten. Gut gemeint ist nicht gut! Stattdessen klare Aussagen, welche Maßnahmen den gegenwärtigen Zustand verändern könn(t)en. Gedankenkontrolle gehört auch dazu.

Personzentriert bedeutet, andere als Person wahrzunehmen – und nicht nur als Symptomträger:in oder gar nur „Patientengut“ – und ihnen achtsam und wertschätzend zu begegnen, vor allem aber alles zu unterlassen, was sie schädigen könnte – z. B. deren Selbstbeschreibungen als unzulängliche Laienmeinung abzutun. Was in einem anderen innerlich vorgeht, kann man nur erspüren oder erahnen – und dann muss man langsam und behutsam nachfragen, ob man das richtig gespürt hat – es könnte ja auch nur eine Phantasie gewesen sein.

„Nil nocere“ – nicht schaden – ist ein Grundsatz jeder Behandlung, und da gehört vor allem auch die Art des Redens dazu. Ein Wort kann ein „Nocebo“ (auf Deutsch: ich werde schaden, das Gegenteil zu „Placebo“, auf Deutsch „ich werde gefallen, gut tun“) sein – und zwar lange hin, als quasi immer wieder kehrender „Zwangsgedanke“ (und das ist meist ein Zeichen für ein Minitrauma – z. B. eine Verletzung des Selbstwertgefühls).

Es sind aber nicht nur Worte, die arg verletzen können, es sind auch „beiläufige“ Taten. So berichtete mir einmal eine ohnedies depressive Klientin: Als sie zur regelmäßigen Kontrolle ihrer Schilddrüsen ins Ordinationszimmer eintrat, schaute der Arzt noch auf seinen Bildschirm, stand dann stumm auf und fuhr der Frau, ohne ihr in die Augen zu sehen, noch immer ohne Worte an den Hals, drückte herum, setzte sich nieder, schrieb in seinen Computer und gab seine Anweisungen knapp gemeinsam mit dem Hinweis auf den nächsten Termin. 

In der Transaktionsanalyse, einer psychotherapeutischen Schule, wird das Verhalten von Menschen auf drei sogenannte Ich-Zustände zurückgeführt: 

Im Kindheits-Ich-Zustand fühlt man sich klein und hilflos, manchmal trotzig, ohnmächtig-wütend, aber manchmal auch spielerisch-freudig. Wenn zwei miteinander blödeln oder flirten, sind beide im Kindheits-Ich, wenn es nur eine Person ist, versucht sie die andere zu dominieren bzw. zu unterwerfen.

Im gegenteiligen sogenannten Eltern-Ich-Zustand agiert man „von oben herab“; man fühlt sich dabei entweder liebevoll, ist aber infantilisierend (behandelt die andere Person wie ein kleines Tepperl) oder aber berechtigt zu nörgeln, zu schimpfen, zu drohen, zu strafen – wie es eben viele Eltern tun, wenn sie sich böse aufführen und glauben, damit erfolgreich zu sein. Sie sind es aber nicht – sie beweisen nur, dass sie keine bessere Methode der Einflussnahme kennen. (Informationen geben würde genügen!)

Im „Erwachsenen-Ich-Zustand“ hingegen wird sachlich, respektvoll und der Situation angepasst gesprochen und gehandelt: kompetente Eltern sprechen auch mit kleinsten Kindern im Erwachsenen-Ich-Zustand, nämlich altersgerecht, ohne zu dalken – und ebenso tun es Angehörige in Helfer-Berufen, seien diese nun Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialberufe (Justiz, Kirche und Polizei mitgemeint). Sie haben es nicht notwendig, sich über andere zu erhöhen, um Autorität zu demonstrieren – sie haben sie eben dadurch, dass sie auf Machtdemonstrationen verzichten.

Sage nun niemand, es läge an Zeitmangel, Menschen human zu behandeln. Aus meiner Sicht liegt es vielmehr an mangelnden Vorbildern: Die eigenen Eltern haben es nicht erfahren – weder am eigenen Leib noch durch Informationen – in den audiovisuellen Medien geht es darum, Leser- wie Hörer- und Seherschaft zu erregen und neugierig zu machen, und das geht am besten mit Skandalisierungen und Grusel, und die wenige, die wissen wie es geht, bieten ihr Expertenwissen zum Kauf an (da gehöre ich auch dazu – aber ich verschenke es auch gelegentlich so wie hier).

Und es liegt an der vielfachen Überheblichkeit Angehöriger akademischer Berufe.

Ich finde, es wäre an der Zeit, dass Patient:innen einmal ein Schwarzbuch darüber schreiben würden, „Das hat mir geschadet“ (denn „Das hat mir geholfen“, gibt es schon, lange her, aber das war Werbung für Naturmethoden).

Bildquellen

  • Arzte_Nocebo: Adobe Stock

"Ehem. Univ. Prof. f. Prävention / Gesundheitskomm. Psychoanalytikerin / Gesundheits- psychologin / LSB Projekt- und Unternehmensbera- terin, strateg. Coach Evang. Pfarrerin im Ehrenamt (Pfarrgemeinde Donaustadt)" Silbernes Ehrenzeichen der Republik Österreich | 1992 Paracelsusring | 1996 Berufstitel Professorin | 1999 Goldenes Ehrenzeichen der Republik Österreich | 2005 Liese-Prokop-Frauenpreis in der Kategorie Wissenschaft | 2007 Goldene Stadtwappennadel Wr. Neustadt | 2007 Ernennung zum Visiting Professor der Donau Universität Krems | 2009 Goldenes Ehrenzeichen des Landes Niederösterreich | 2009 Goldenes Ehrenzeichen des Bundeslandes Wien | 2010 Großes Goldenes Ehrenzeichen des Landes NÖ | 2014 L.E.O.-Award | für ihre Basisarbeit bei der Begründung des Berufsstandes der Lebens- und Sozialberatung | 2017