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Unverschaemt

Unverschämt, warum?

Am 04.01.2021 bin ich morgens aufgewacht und fühlte mich wie jeden Tag zuvor. Auf den ersten Blick war nichts anders als noch gestern Abend. Auf den zweiten Blick, kurz vorm Duschen, auf meine nackten Beine, war einiges erheblich anders. Meine kompletten Beine, Ober- wie Unterschenkel, waren mit roten Halbkreisen verziert. Zuerst vermutete ich Bettwanzen, diesen Verdacht legte ich allerdings schnell nieder. Ich nahm eine Cetirizin ein und die Halbkreise verschwanden. Mit gefühltem Triumph im Geiste hakte ich das Thema Ausschlag ab, nur um zwei Tage später mit derselben halbkreisartigen Verzierung an den Beinen wieder aufzuwachen. Dieses Spielchen spielte ich 2-3 Wochen. Ich machte mir keine großartigen Sorgen, aber war schon irritiert was es sein könnte, daher beschloss ich zu einem niedergelassenen Dermatologen zugehen. Nach nur drei Stunden Wartezeit im Treppenhaus durfte ich ins Sprechzimmer eintreten. Dem Arzt reichten Fotos meiner Beine, den Ausschlag wollte er sich nicht live ansehen. Es sei eine Urtikaria, welche in der Regel von selbst wieder verschwinden würde. Ich solle bis zu 4 Antihistamin täglich nehmen. Mit einem Fuß schon wieder aus der Tür, drehte der Arzt sich noch einmal kurz um und fragte, ob ich Luftnot hätte. Als ich verneinte, war er weg. 

Gut, dachte ich bei mir, dann warten wir mal weiter ab. Auch an dieser Stelle war ich noch nicht beunruhigt. Dabei hätte ich es längst sein sollen! In den nächsten Tagen nahm ich weiterhin zwei Cetirizin pro Tag und ignorierte die Halbmonde weitgehend. Keine zwei Wochen später, schwoll mir nach dem Genuss von Gemüse in scharfer Soße am Sonntagabend das halbe Gesicht inklusive Lippe in einem bedrohlichen Ausmaß an. Ich bin unter Todesangst bei dicker und vereister Schneedecke eigenhändig mit dem Auto in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses gefahren. Mein Partner war nicht fahrtüchtig, was ich sofort registrierte, da er augenscheinlich unter Schock stand. Bitte fragen Sie mich nicht, warum ich keinen Krankenwagen gerufen habe, ich weiß es nicht! 

Jede Sekunde dieser Fahrt hatte ich Angst, dass die Schwellung auf meine Atemwege übergeht. In der Notaufnahme angekommen verklickerte man mir, dass mein Partner draußen warten müsse (Minusgerade!) und interviewte mich mehrere Minuten lang erst einmal zu möglichen Corona-Symptomen, bevor man mich in ein Behandlungszimmer verwies. Wenn Sie mich fragen, ist dieses Vorgehen bei einem akuten, schweren Angioödem grob fahrlässig. So lag ich nun mit meinem angeschwollenen Gesicht allein in einem kalten leeren Raum, meine Beine zitterten vor Kälte, Anspannung und Angst. Sie zitterten so stark, dass sie quasi auf der Liege auf und ab hüpften. 

Endlich kam jemand, eine Schwester und legte mir einen Zugang. Ich erhielt einen Kortison-Fenistil-Tropf. Während dieser in mich hinein lief, wurde alles in mir schwer und all die Fragen, die durch meinen Kopf schwirrten, verschwanden. Wir fuhren in dieser Nacht nach Hause und redeten uns ein, dass es bestimmt nur eine allergische Reaktion auf das Chili in der Soße war. Die Notfallambulanz sprach zumindest auch von einer allergischen Reaktion und empfahl einen niedergelassenen Dermatologen aufzusuchen. Sowie das Kortison am nächsten Tag in meinem Körper abgebaut war, begann für mich die schwerste und dunkelste Zeit meines bisherigen Lebens. 

Der Ausschlag betraf nun nicht mehr nur meine Beine, er erstreckte sich über meinen gesamten Körper. Von den Zehen, über den Bauch, über die Schultern bis ins Gesicht. Alles an mir brannte, glühte und juckte. Ich suchte umgehend eine weitere niedergelassene Dermatologin auf, welche bei dem Wort „Kortison“ die Hände über den Kopf zusammenschlug. Dies sei nicht das Mittel der Wahl bei einer Urtikaria. Die Dermatologin klärte mich darüber auf, dass man ab 6 Wochen Urtikaria von einer chronischen Form spricht. Ich solle Ruhe bewahren, täglich 4 Antihistamin nehmen. Ich erhielt ein sogenanntes Notfallset (flüssiges Kortison u. Fenestil) inkl. Anapen und den Hinweis, dass ich dieses auch benutzen soll, wenn mir wieder etwas anschwillt. Wenn etwas ist, solle ich anrufen. Dies tat ich in den nächsten Tagen auch, denn egal ob ich 2, 3 oder 4 Cetirizin nahm, die Urtikaria kannte kein Halten. Die Dermatologin empfahl mir ruhig zu bleiben. Parallel suchte ich meinen Frauenarzt auf, welcher mir Kortison verschrieb. „Nehmen Sie das drei Tage!“ Dann ist das weg! Ich war zu diesem Zeitpunkt absolut hilflos, überfordert und verzweifelt. Jeden Tag war ich mit mittlerweile richtig dicken Quaddeln übersäht und leidete unter dem Juckreiz, welcher mit ihnen einher ging. Die Dermatologin wollte nichts von Kortison wissen, ich solle Ruhe bewahren. Ich schilderte mehrfach meine Verzweiflung und Ängste, aber Sie ging nicht weiter auf mich ein. 

So kam es, dass ich an einem Nachmittag den Rat meines Frauenarztes berücksichtigte und das Kortison einnahm. Wenige Stunden später erlitt ich eine Panikattacke, welche mich glauben ließ, dass mir die Zunge anschwellt. Sofort schluckte ich das komplette Fläschchen flüssiges Kortison aus dem Notfallset zusätzlich zum bereits eingenommen Kortison. Ich kauerte auf dem Fußboden meiner Wohnung und kann heute von Glück sagen, dass irgendein Pfündchen Verstand in mir mich davon abgehalten hat den Anapen zu benutzen. Nach kurzer Zeit sammelte meine Freundin mich vom Fußboden auf und stellte fest, dass ich mittlerweile sprichwörtlich high von den horrenden Mengen an Kortison in meinem Körper war. Wir riefen bei der Dermatologin an, allerdings ging Ihr Vorgesetzter ran, welchem ich die Situation erklärte. Dieser nahm mir das Versprechen ab, kein weiteres Kortison mehr einzunehmen, das war es. In den nächsten Tagen war die Dermatologin für mich telefonisch nicht mehr erreichbar. Als ich persönlich in die Praxis fuhr, wurde ich von Ihrem Empfang höchst unfreundlich abgewatscht, während Sie sich hinter einer Tür versteckte. 

Frau XY wäre für mich nicht mehr zusprechen. Man gab mir eine Überweisung ins Krankenhaus, wenn mir was anschwillt, soll ich mich da melden. Man behandelte mich wie eine Geisteskranke, bevor man mich letztendlich der Tür verwies. Nach ein paar Tränen im Auto nahm ich Kontakt zu einem Krankenhaus mit Dermatologie in der Nähe auf. Meine Urtikaria war nach dem ganzen Kortison wieder zu alter Stärke erblüht. 

Die Krankenhaus Dermatologie nahm verschiedene Blutparameter ab und stellte fest, dass mein Entzündungswert stark erhöht ist. Leider ist dieser Wert unspezifisch. Man verordnete mir Kortison über die nächsten Wochen. Nach dem Kortison kam die Urtikaria jedes Mal zurück. Die behandelnde Ärztin empfahl mir eine Einweisung. Sie hätte mich gerne stationär liegen, damit Sie mich in Ruhe durchchecken kann. Über drei Monate nach dem erstmaligen Auftreten meiner Urtikaria machte nun endlich jemand mit mir eine sogenannte Ursachenforschung. Der Witz an dem Ganzen; ich war vollgepumpt mit Kortison und Antihistaminika. Das Kortison setze ich eine Woche vor meinem Krankenhausaufenthalt ab, nur um im Krankenhaus zu meinen Antihistaminika morgens und abends einen Fenestiltropf zu erhalten. Zwar hielt dieser meine Urtikaria recht gut in Schach, machte jedoch sämtliche Blutuntersuchungen noch unbrauchbarer als sie eh schon waren. Ich lag nun 5 volle Tage im Krankenhaus, für einen Urintest, eine Blutabnahme, welche übliche Entzündungsparameter enthielt, ein Ultraschall der Organe, ein Röntgen des Thorax, eine HNO-Untersuchung und der Aussage: „Naja, den Zahnarzt können wir uns wohl sparen. Sie gehen bestimmt regelmäßig hin.“ Bis auf den hohen Entzündungswert war alles ohne Befund. Bei einer der ersten Visiten besprachen die Ärzte das Vorgehen meiner Behandlung. Als einer der Assistenzärzte anmerkte, dass man, wenn nichts helfen sollte, Xolaire spritzen könne, wurde er von seinen Kollegen unterbrochen und mit bösen Blicken zum Schweigen gebracht. Ich wusste damals noch nicht, was Xolaire ist. Ich verließ das Krankenhaus mit einer Empfehlung für pseudoallergenarme Kost sowie dem Rat, ich solle verschiedene Antihistaminika ausprobieren. Nachdem ich nun keinen Fenestiltropf mehr erhielt, war auch die Urtikaria wieder in gewohntem Ausmaß zur Stelle. 

In den nächsten Wochen brach ich immer wieder meine Arbeit ab und fuhr in die Dermatologie des Krankenhauses. Die Ärztin wurde immer ratloser und genervter. Sie könne auch nicht zaubern, war Ihre Aussage. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich Würmer in meiner Toilette. Als meine Stuhlprobe unauffällig war und ich merkte, dass man mich langsam, aber sicher für verrückt hielt, sammelte ich die Würmer ein und brachte sie mit in die Dermatologie. Das erste Mal nahm die Ärztin sie an und versprach sie an ein Labor zuschicken. Eine Woche später rief ich im Krankenhaus an und man erzählte mir, die Würmer wären nicht auswertbar gewesen. Also brachte ich neue Würmer, allerdings wurde die Ärztin, welche kurz vorher an mir vorbeigelaufen ist, diesmal mir gegenüber verleugnet. Der Chefarzt höchst persönlich nahm mir die Würmer ab und versprach sie an ein Labor zuschicken. Das wäre eine heiße Spur meinte er zu aller Unverschämtheit. Unverschämt, warum? Weil ich bis heute keine Ergebnisse erhalten habe, denn kurz nach meinem letzten Erscheinen in der dermatologischen Ambulanz rief man mich an und erklärte, dass man nichts mehr für mich tun könne und ich mir einen anderen Behandler suchen solle. 

Zu dieser Zeit, gab es mal bessere und mal schlechtere Phasen meiner Urtikaria, das heißt, wenn ich Glück hatte, dann hatte ich „nur“ morgens und abends um die 50 Quaddeln. Über Tag beruhigte es sich, zumindest so weit, dass ich zwischen ca. 12:00 und 17:00 so etwas wie Lebensqualität erlebte. Planbar war rein garnichts und alle paar Tage und Wochen bekam ich zu der Urtikaria leichte Angioödeme an der Lippe. Allerdings hatte ich mittlerweile meinen Hausarzt eingebunden, der mich so gut es möglich war, unterstützte und mir Kortison verschrieb, wenn es so schlimm wurde, dass es nicht mehr aushaltbar war. Telefonisch versuchte ich es immer wieder in Hautambulanzen oder Hautkliniken, nirgendwo war ein Termin zu bekommen, es sei denn, man hat 1 Jahr oder länger Zeit zu warten. In dieser Zeit fuhr meine Nachbarin in einer Nacht erneut mit mir in die Notaufnahme, da ein Angioödem an der Lippe gefährlich groß wurde. Der Arzt dort war mit mir vollkommen überfordert und wollte mir ernsthaft eine Fenestilsalbe verschreiben. Als ich ablehnte, fragte er mich, wie viel Kortison er mir spritzen solle. Ich beantwortete seine Frage und er setzte meine Antwort um. Danach holte ich mir den nächsten Kortisonzyklus (angefangen mit 150mg und ab da alle 2 Tage um 10mg reduzieren) beim Hausarzt ab. Unter Dauerkortison, also optisch gesehen Urtikaria frei, stellte ich mich endlich in einer nicht mehr ganz so nah gelegenen Uniklinik mit dermatologischer Abteilung und Allergiesprechstunde vor. Dort erzählte ich vom bisherigen Verlauf meiner Krankheit und zeigte ebenso Fotos und Arztberichte. Man nahm mir Blut ab, verschrieb mir ein anderes Antihistamin (mittlerweile das vierte oder fünfte) und schickte mich mit einem Termin für eine Behandlung mit Xolaire (welcher über 4 Monate in der Zukunft lag) wieder nach Hause. Ein paar Tage später sollte ich eine Stuhlprobe einreichen, welche wieder ohne Befund war. 

Meine Blutergebnisse waren wie immer unauffällig, bis auf den hohen ANA-Wert (Entzündungswert). Nach dem ich den letzten Kortisonzyklus ausgeschlichen hatte, stellte sich eine Phase ein, in der ich nur morgens ein bis drei größere Flecken auf der Haut hatte und ansonsten Symptomfreiheit genießen konnte. Ich hatte damals damit begonnen mich histaminarm zu ernähren und hatte im Zuge sämtlicher Reduktion von Stress meine damalige Beziehung beendet. Die Würmer in meiner Toilette stellten sich als Larven der Schmetterlingsmücke heraus und waren ein Anzeichen für dreckige Rohre unseres Hauses. Damals dachte ich, das schlimmste wäre vorüber.

An einem Nachmittag trank ich gefühlt eine Tasse Kaffee zu viel und es stellte sich ein nervöses Gefühl ein. Abends im Bett bekam ich dann einen Zitteranfall und über Nacht kam die Urtikaria zurück. Ich war wieder komplett übersäht und hatte leichte Angioödeme an den Augen und an den Lippen. Dieser Zustand hielt tagelang an und in dieser Zeit entwickelte ich erstmalig auch Angioödeme an den Füßen und Gelenken, sodass ich kaum laufen konnte. In diesem Zustand fuhr ich in die Uniklinik, saß dort mit starken Angioödemen an den Armen (ich konnte meine Arme nicht mehr beugen) und starken Schmerzen geschlagene 4 Stunden in einem bitterkalten Wartezimmer, bis ich endlich an der Reihe war. Man verschrieb mir das nächste Antihistamin und schickte mich direkt 3 Türen weiter, wo ich meine ersten beiden Spritzen mit Xolair erhielt. Kurz vor den Spritzen unterzeichnete ich einen Schriftstück über mögliche Nebenwirkungen, welches ich aufgrund meiner derzeit seelischen Verfassung überhaupt nicht im Stande war zu lesen. Parallel erklärte man mir, dass Xolair kaum Nebenwirkungen habe und es mir damit bald besser gehen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte niemand dieser Ärzte das Wort Allergietest, Darm- und/oder Magenspiegelung oder Darmmikrobiom auch nur in den Mund genommen. Meine Urtikaria zeigte sich recht unbeeindruckt von Xolair, allerdings verschwanden die Angioödeme über den Tag hinweg. Am nächsten Abend allerdings entwickelte ich so starke Angioödeme an den Beinen, dass ich nicht mehr stehen konnte, da mir die Schwellungen schmerzhaft das Gewebe abdrückten. Zudem war meine Haut deutlich blau angelaufen. Ein Freund fuhr mit mir in die Notaufnahme, diesmal in die Notaufnahme der behandelnden Uniklinik. Er trug mich bis zum Eingang der Notaufnahme, dank Corona musste ich auch hier allein in einem wieder bitterkalten Raum warten. Es dauerte fast 3 Stunden, bis man sich um mich kümmerte und mir Kortison spritzte. Danach entließ ich mich auf eigene Faust nach Hause. Meine Begleitperson hatte währenddessen 4 Stunden in der Tiefgarage der Klinik gewartet. 

Am nächsten Morgen konnte ich dank dem Kortison wieder selbstständig laufen und fuhr abermals in die Uniklinik. Man zeigte sich unbeeindruckt. Die Blaufärbung war noch deutlich erkennbar, könnte aber nicht von Xolair kommen. So etwas hätte man noch nie gesehen! Meiner Meinung nach keine sehr beruhigende Aussage einer Chef- sowie Assistenzärztin. Noch beunruhigender fand ich allerdings, dass man sich meiner ein weiteres Mal überhaupt nicht annahm. Kortison hieß es, und zwar bis Xolair wirkt. Nun, wer rechnen kann ist klar im Vorteil, das Kortison hielt für ca. 5 Wochen und in der Regel rechnet man nach 3 Monaten mit einem Anschlagen von Xolair (vorausgesetzt es wirkt nicht früher). Tatsächlich wurde meiner Urtikaria schwächer und ich hatte „nur noch“ ein bis maximal zweimal in der Woche ein Angioödem an der Lippe. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich mich zu dieser Zeit schon länger histaminarm ernährte und mittlerweile auch den Konsum von Kaffee eingestellt hatte. Alle paar Wochen hatte ich allerdings Schübe, bei denen die Urtikaria wieder schlimmer wurde und einmal zwei Angioödeme an der Lippe so groß wurden, dass ich wieder in der Notfallambulanz der Uniklinik landete. Diesmal entließ ich mich nicht, sondern blieb drei Tage dort stationär. In diesen drei Tagen machte man rein gar nichts mit mir, außer mir weiterhin hochdosiert intravenös Kortison zu verabreichen. Ebenfalls servierte man mir histaminreiches Essen, als ich nach Alternativen fragte, wurden keine Geboten. Am dritten Tag ließ sich meine behandelnde Ärztin zum Zwecke meiner Entlassung blicken. Ich fragte sie, wie es unter Xolair möglich sei, dass ich weiterhin diese schweren Symptome habe. Sie wurde patzig und sagte mir, Xolair sei kein Garant für Symptomfreiheit. Ohnehin war dieser Ärztin immer kurz angebunden und selten freundlich…, wenn ich genau überlege, war sie niemals freundlich. Nach dem nach einer etwas ruhigeren Phase meine Urtikaria wieder extrem schlimm geworden war, setzte man Xolair von bisher 2 auf 3 Spritzen alle 4 Wochen hoch. Außerdem gab mir die „nette“ Ärztin wortwörtlich mit, dass ich selbst schuld sei, wenn Xolair nicht wirkt, schließlich hätte ich Stress gehabt. 

In dieser Phase meines Lebens, war ich an einem Punkt, an dem ich Angst hatte, dass ich an den Punkt kommen könnte, an dem ich mich umbringen möchte, weil ich all das nicht mehr aushalte. Ich hatte Angst vor der Nacht, da die Symptome dort meist besonders schlimm wurden. Alles war eine einzige Qual, morgens in Qual aufwachen, den ganzen Tag Juckreiz und abends in Qual und vollkommen erschöpft einschlafen. Keine Möglichkeit sich zu entspannen und zu erholen. Vollkommen ausgebrannt rannte ich von Arzt zu Arzt, alles blieb ohne Befund. Magen- und Darm erwiesen sich nach einer Spiegelung als absolut unauffällig, rheumatologisch alles okay, gesamthaft es sei alles in Ordnung, bis auf den hohen Entzündungswert, den könnte sich allerdings niemand erklären. Mittlerweile hatte ich mir per Sondereilantrag psychologische Unterstützung besorgt. Anmerken möchte ich, dass ich all diese Untersuchungen sowie die Psychologische Betreuung auf eigene Faust organisiert habe. 

Mein Hausarzt war so freundlich mir entsprechende Überweisungen auf mein Bitten hin zu schreiben. Von meiner behandelnden Uniklinik erhielt ich keine Unterstützung. Meine Fragen nach einer Ernährungsumstellung, meine Vermutung, dass etwas mit meinem Darm nicht in Ordnung sei sowie mein Wunsch nach einem Vitalstoffnachweis über mein Blut wurden abgelehnt und mehr oder weniger als Schwachsinn abgestempelt. Ich war hilflos, fast alle meine Freunde hatte ich zu dieser Zeit von mir gestoßen, kaum jemand kam noch an mich ran, meine nebenberufliche Ausbildung hatte ich auf Eis gelegt, mein Tag bestand einfach nur darin im Homeoffice zuarbeiten und irgendwie zu überleben. Ich hatte 10 Kilo zugenommen, würde die nächsten Monate durch Quaddeln und Angioödeme entstellt sein. Ich war schon lange nicht mehr ich selbst, ängstlich und wütend war ich und trug meinen Zorn und meine Verzweiflung quasi vor mir her. Immer wieder stellte ich mir die Frage, quäle ich mich so durch den Tag oder trinke ich das Notfallkortison und glühe dann ein bis zwei Tage vor mich hin, bis die Urtikaria mich auf andere Art und Weise ausbrennt. Ich konnte nicht in die Sonne, also war der Sommer nichts für mich. Im Winter konnte ich allerdings auch kaum raus, weil die Kälte die Symptome ebenfalls verschlimmerte. Ich saß zu Hause und sah anderen Menschen zu, wie sie ihr Leben lebten und ich meines immer weiter verlor. Als Frau fühlte ich mich schon lange nicht mehr, aber das Schlimmste für mich war, dass ich meine Selbstwirksamkeit verlor und darauf angewiesen war, dass meine Vertrauensperson nachts ihr Handy anließ, falls mir etwas passiert. Einmal im Monat holte ich mir meine übliche Dosis Frustration in der Uniklinik inkl. der 3 Spritzen Xolair ab. Überraschung, auch die 3 Spritzen Xolair zeigten im Übrigen keinerlei Wirkung. Ich muss an dieser Stelle abermals erwähnen, dass ich weiterhin unter bläulicher Haut an den Beinen litt, was ich in der Uniklinik immer wieder ansprach. Lt. Internet eine mögliche Nebenwirkung von Xolair, welche ein sofortiges Absetzen des Medikaments bedingt. 

Als ich Kontakt zum Urtikariaverband aufnahm, schlug man dort die Hände über dem Kopf zusammen, bei den Mengen an Kortison in Kombination mit Xolair. Ich sprach dies in der Uniklinik an, es interessierte niemanden. Ohnehin betreute mich jedes Mal ein anderer Assistenzarzt oder eine andere Assistenzärztin, niemand der vielen Gesichter kannte meinen Fall wirklich. Nur einer der vielen Assistenzärzte interessierte sich für den Vorschlag des Urtikariaverbands das Antihistaminika zu wechseln. Als sein Chefarzt ihm allerdings mitteilte, dass dies nicht der Leitlinie entspricht und deshalb nicht umgesetzt wird, musste der junge Arzt mir diese Möglichkeit zähneknirschend verweigern. Stattdessen bot man mir Cyclosporin als letzte Behandlungsmöglichkeit an. Würde ich dies nicht wollen, könnte ich mir überlegen, ob ich zukünftig weiter mein Xolair abhole oder ob ich einfach nicht mehr komme. In der Zwischenzeit hatte ich mich sogar in der führenden Klinik für Urtikaria und Mastzellenerkrankungen vorgestellt. Dort wurde immerhin eine Urtikaria Vaskulitis ausgeschlossen, diese Ausschlussuntersuchung verweigerte mir die Uniklinik ebenfalls seit Monaten. Mehr brachte mir mein dortiger Besuch allerdings nicht bzw. dort schlug man vor die Dosis meiner Xolaire-Spritzen von bisher 3 Spritzen alle 4 Wochen auf 4 Spritzen weiter zu erhöhen und dies trotz der bisher ausbleibenden Wirkung der hohen Dosis von 3 Spritzen und den Verfärbungen auf den Beinen. Alternativ bot man mir die Teilnahme an einer Phase 1 Studie an.

Es war mittlerweile Mitte Januar 2022 geworden und ich war ein Schatten meiner selbst. Ich sage Ihnen mit absoluter Sicherheit und Überzeugung, hätte ich weiter ausschließlich auf die Schulmedizin gehört, ich wäre daran zu Grunde gegangen. Es ist unglaublich traurig, aber keiner der Vielzahl an Ärzten, die mich in dieser Zeit behandelten, wollte auch nur etwas von dem Thema Ernährung und Darmmikrobiom wissen. Seit ich Ende 2021 in Kontakt mit dem Urtikariaverband stand versuchte ich immer wieder meine Behandlung in diese Bahnen zu lenken und wurde mit Missachtung, Unfreundlichkeit bis hin zu erhabener Arroganz seitens der Schulmedizin gestraft. Mein Fall wurde mehrfach als austherapiert abgestempelt und mehrfach hörte ich, eine damals 34 Jahre alte Frau, ich solle mich damit abfinden. Ich weiß nicht, ob es die Highphasen unter Kortison waren oder ob ich einfach meine zwei Kater nicht im Stich lassen wollte, aber irgendwie stand ich all diese schlimmen Tage und Nächte durch, überstand all die Ablehnung, all die Tränen und nach jeder Verzweiflung und jedem Gefühl von ich kann nicht mehr, sagte ich mir selbst „Du bist noch lange nicht am Ende! „

Glücklicherweise habe ich Anfang Februar 2022 mit einer durch den Urtikariaverband betreuten Ernährungsumstellung begonnen. Ebenfalls folgte ich Empfehlungen zu weiterführenden Untersuchungen. Mein Gefühl bestätigte sich als richtig. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass diese Untersuchungen auf meinen eigenen Wunsch und eigenen Rechnung über einen Arzt für Privatzahler geschahen. All meine Intuition, alle Empfehlungen des Urtikariaverbands wurden von meinen behandelnden Ärzten belächelt und abgetan. Stattdessen hat man mich fast anderthalb Jahre mit Medikamenten zu gepumpt, die teilweise keine Wirkung zeigten. Mein Körper hat verzweifelt um Hilfe geschrien, weil er schlichtweg einfach nicht mehr in der Lage war sich selbst zu helfen. Zu Beginn der Krankheit, in den Wochen, in denen man mit mir aussagekräftige Allergietest hätten machen können, in den Wochen, in denen ein Absetzen der Antihistaminika nicht lebensgefährlich enden hätte können, diese Wochen blieben ungenutzt und wertvolle Zeit wurde verschwendet.

Heute (November 2022) bin ich seit mehr als 7 Monaten Quaddel- und Angioödem frei. Mein Körper und ich kommen langsam, aber sicher in die alte Kraft. Ich habe 8 Kilo abgenommen und habe seit einem halben Jahr meine nebenberufliche Ausbildung wieder aufgenommen. Nach wie vor halte ich ich mich an die Empfehlungen des Teams des Urtikariaverbandes und stehe in engem Austausch, dies wird auch erst mal für einige Zeit so bleiben, aber ich habe meine Lebensqualität zurück. Ich treffe wieder Freunde und plane kleine Reisen. 

Xolair habe ich auf eigenen Wunsch vor ein paar Monaten abgesetzt. Die Uniklinik hatte mich daraufhin ziemlich eingeschüchtert. Man würde nicht glauben, dass meine deutliche gesundheitliche Verbesserung durch einfache Lebensstilmodifikation erreicht worden sei, es wäre Xolair, was wirken würde. Sollte ich Xolair absetzen, würden meine Symptome schlimmer zurückkommen als vorher. Was soll ich sagen, das einzige, was sich nach dem Absetzen von Xolair geändert hat, sind die Verfärbungen auf der Haut. Die sind nämlich verschwunden! Ich folge heute noch den Empfehlungen des Urtikariaverbandes. In geringen Mengen nehme ich heute nur noch eine Kombination aus Antihistamin und Mastzellenstabilisator ein, übrigens das einzige Antihistamin, welches bei mir Wirkung zeigt und zugleich das Antihistamin, welches man mir in der Uniklinik mit den Worten „Rückschritt in der Leitlinie“ nicht verschreiben wollte.

Ein paar Zeilen zuvor habe ich geschrieben, dass ich sicher bin, dass ich daran zu Grunde gegangen wäre, hätte ich weiter rein auf die Worte der Uniklinken vertraut. Nun, bei mir war es ein Zeitraum von anderthalb Jahren, in denen ich unter stärksten Symptomen der Urtikaria gelitten habe. Mein Körper war zu dieser Zeit nicht nur starkem Stress und starken Entzündungsreaktionen ausgesetzt, Immunsuppressiva wie Kortison und auch Biologika wie Xolair haben langfristige Auswirkungen auf den Körper wie auch auf die Psyche. Darüber spricht kaum ein Arzt. Mir fällt meine Rückkehr in ein annähernd normales Leben immer noch schwer, auch wenn ich der Zukunft positiv entgegenblicke. Ich bin oft sehr müde und befinde mich derzeit in einem klinischen Burnout, welcher eine logische körperliche Folge all der zurückliegenden Geschehnisse ist. Mir fallen die Haare sehr stark aus und mein Körper hat über all die Monate seit Beginn der Ernährungsumstellung diverse Symptome von Schwäche und Reparaturarbeiten gezeigt. Ich möchte nicht wissen, wie es jemandem geht, der diese Hölle länger durchmachen muss als ich. Welche Spätfolgen durch den extremen Medikamentengebrauch auf mich zukommen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Allerdings hoffe ich, dass mein Körper sich in den nächsten Jahren vollständig regenerieren wird, meine Haare nachwachsen und ich in ein paar Jahren wieder fast alles Essen kann. Ganz ohne all die Medikamente hätte ich es bis hierhin nicht geschafft, denn so zerstörerisch Kortison auf Dauer ist, genauso hat es mir in einigen Nächten wahrscheinlich das Leben gerettet. Dennoch bin ich von der herrschenden Ignoranz einer Vielzahl von Medizinern für neue medizinisch oder auch ganzheitliche Ansätze erschüttert. In diesen über anderthalb Jahren schulmedizinischer Behandlung meiner Urtikaria habe ich allem voran die Menschlichkeit und das Interesse am Patienten, an mir, vermisst. Ich war vor meiner Erkrankung ernsthaft der Ansicht, dass die Medizin nicht nur Leitlinien abarbeitet und bei ungeklärten Fällen alles daransetzt, auch mal outside the box zudenken. Als ich merkte, als ich am eigenen Leib erfuhr, dass dies nicht so ist, habe ich alles darangesetzt, in einen Zustand zukommen, in welchem ich wieder selbst die Zügel in die Hand nehmen kann. Lassen Sie sich nicht abspeisen, geben Sie nicht auf und vor allem lassen Sie sich niemals von dem Gefühl beeindrucken, dass „die“ alle denken, dass Sie bekloppt sind!

Danke Du, mein engster Mensch, dass Du in der schwersten Zeit meines Lebens die Einzige warst, die sich wirklich für mich interessiert hat. 

An alle Ärzte, denen ich mit den oberen Worten unrecht tue: Bitte fühlen Sie sich nicht angesprochen und bitte verlieren Sie niemals das Interesse am Patienten. Danke!